Die Sache mit dem Wolf

Jeder kennt die Geschichten vom bösen, bösen Wolf. Der böse Wolf der Rotkäppchen vertilgt und sogar vor der alten schrumpligen Großmutter kein Halt macht. Der böse Wolf, der den drei kleinen Schweinchen das Leben zur Hölle macht , sämtliche Arten von Häusern zerstört, und der Mutter Geißlein die Kinder wegfuttern möchte. Hach. Der böse arme Wolf. Er gilt als Sinnbild für das Böse und das wurde uns schon früh eingebläut. Es kommt uns Menschen daher ganz gelegen, den Hund als Ableger des Wolfes zu betrachten. Nun haben wir endlich die Möglichkeit unsere Ängste zu überwinden, indem wir den Hund unterwerfen, ihn dominieren – denn sonst – und da waren sich vor Jahren noch viele, dank Oberst Konrad Most (Pionier auf dem Gebiet des Hundetrainings und Polizeibeamte), einig – dominiert er uns. Ja. Er dominiert uns, zerstört unsere Behausung, frisst unsere Kinder oder gar die liebe Großmutter.

Ok. Der Ansatz dieser Hundeerziehung ist mittlerweile so alt wie der Papst und doch wird er noch immer praktiziert. Und um sich auch von den einen oder anderen Mythen der Vergangenheit lösen zu können und das Bild des Wolfes aus dem Hund verschwinden zu lassen, ist es vielleicht interessant, die ganze Geschichte Wolf nochmal durchzuspielen.

Zugegeben. Der Wolf mag in der Tat der einzige Vorfahr des Hundes sein und vermutlich sind Hunde auch aus der Wolfs-DNA hervorgegangen aber ähnliches gilt wohl auch für Affe und Mensch. Das mag vielleicht etwas darüber aussagen, wozu wir anatomisch und geistig in der Lage sind, obwohl wir uns dahingehend auch weiterentwickelt haben, aber wohl kaum noch etwas über die Lebensform und Familienstruktur, auf die viele Trainingsansätze basieren. Lebten die Affen oder vielmehr der Hominidae (aber vereinfacht belassen wirs mal beim Wort Affen) früher in großen Gemeinschaften und pflanzten sich unentwegt fort ist es heute – naja eher ein kleinerer Rahmen indem wir zusammenleben. Man muss nicht mehr zusammen jagen gehen um große Tiere zu erlegen und so jagt jeder für sich und seine kleine Familie selbst und erlegt was der Supermarkt gerade so hergibt. Meine Nachbarn würde mich ungläubig anschauen, würde ich an der Tür klingeln und fragen ob wir zusammen einkaufen gehen, Essen sammeln und jagen. Die Vergangenheit ist also nicht mehr vergleichbar mit der Gegenwart und kann nur teilweise zum besseren Verständnis unserer geliebten Vierbeiner herangezogen werden.

Um das Geheimnis Hund zu ergründen, wurde in der Forschung und Wissenschaft immer wieder Wolfsrudel beobachtet und daraus Schlüsse für die weitere Arbeit mit Hunden gezogen. Wolfsrudel, die künstlich zusammengestellt in Zoos gehalten wurden ohne jegliche Fluchtmöglichkeit oder die Möglichkeit sich dem Rudel zu entziehen. Wölfe, die sich in einer verzweifelten Lage befanden und mit großer Sicherheit das Rudel verlassen hätten. Sind da Rivalität und Aggressivität nicht vorprogrammiert? Rudel, die sich in freier Wildbahn natürlich gründen, sind in der Regel harmonische Gruppen, in denen Aggression eher die Ausnahme als die Regel ist. Mittlerweile ist bekannt, dass die Mehrheit der Wolfsrudel schlicht und einfach Familienverbände sind, die sich gegenseitig unterstützen und wo jeder seine Aufgabe hat.

Also zusammengefasst würde ich behaupten. Nein. Wir leben in keinem Rudel, in dem das Alphatier seine Rudelmitglieder dominiert und unterdrücken muss um die Vorherrschaft innezuhaben. Deswegen ist es meiner Ansicht nach auch völlig Wumpe wer zuerst durch die Tür geht, wer zuerst was zwischen die Kiemen kriegt oder wer erhöht auf dem Thron des Sofas sitzt. So hat Sina zum Beispiel im Schlafzimmer tagsüber ihren Platz in unserem Bett (ja, das ist für uns völlig fein) und Gordo liegt dort in seinem Säckchen auf dem Boden. Im Wohnzimmer liegt Gordo häufig auf dem Sofa, also oben, und Sini chillt in der Sonne auf dem Boden, also unten. Ich denke nicht, dass die Hunde denken oder bemerken „Shit, er liegt jetzt erhöht und dominiert mich. Ich muss ihm zeigen, wo der Hammer hängt“. Und doch waren das damals die Ansätze in meiner Hundeschule und sind es teilweise heute noch. Rückblickend bin ich froh darüber, dass ich in diesen Dingen immer recht inkonsequent gewesen bin – jetzt ist es raus liebe Kritiker-, wollte ich ja auch ein Hund als Freund und nicht als Sklave.

Wer also dem Ansatz folgt, er müsse der Rudelführer sein alla Cesar Millan, der den Hund unterdrückt und mittels Hilfsmittel wie Würgehalsbänder gefügig macht, lebt in meinen Augen noch immer in der Welt als der Mensch noch Affe war. Mal ehrlich. Geflüstert wird bei dem guten Cesar mal garnichts und das einzige was man ihm zu gute halten kann ist sein gutes Aussehen und sein souveränes, klares Auftreten. Die Methoden allerdings haben schon sooo einen Bart. Wer zu den Cesar-Verehrern zählt – und ich muss zugeben, dass ich die Sendungen vor einigen Jahren auch gesehen und seine Energie mich auch inspiriert hat – kann ich empfehlen Cesar Millan zu googeln und sich die Artikel von PETA mal reinzuziehen. Klar. Seine Methoden scheinen wirkungsvoll aber das waren auch die unseres Polizeibeamten Oberst Konrad Most (siehe oben). Denn mit Gewalt lässt ich auf kurz oder lang jede Seele brechen. Also die Frage, die sich mir hier wieder stellt ist: Möchten man einen Sklaven oder einen Freund haben? Ich habe meine Wahl bereits vor Jahren getroffen.

Quelle: eigene Beobachtungen von Sina und Gordo, Wikipedia und aus dem Buch „Hundeverstand“ von John Bradshaw

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